Rede von Klaus Lederer, Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa auf der Hauptversammlung am 4. März 2023

Liebe Genossinnen und Genossen,

Ihr könnt mir glauben – es ist heute nicht ganz leicht hier zu stehen. Es sind gerade wirklich keine guten Tage für Berlin.

Wir wissen, dass Koalitionsverhandlungen auch schiefgehen können und die SPD-Basis noch ein Wort hat, aber es zeichnet sich doch deutlich ab, dass Berlin in den kommenden drei Jahren nicht von einer progressiven Regierung mit linker Beteiligung regiert wird. Das sind schlechte Nachrichten für unsere Stadt.

Die SPD-Führung hat in den letzten Tagen sehr eindeutige Weichen gestellt. Was folgt daraus?

Erstens:

Auch, wenn es zunächst nur für unsere eigene mentale Gesundheit taugt ist und für die geschockte Stadtgesellschaft kein Trost ist, muss es einmal ausgesprochen werden: Wir haben hart gekämpft, wir haben gut gekämpft und wir haben uns diesen Ausgang der Sondierungen nicht vorzuwerfen. An uns ist es nicht gescheitert.

In unserem Wahlergebnis gibt es Licht und Schatten, beides zugleich.

Wir haben ein Ergebnis erzielt, das nicht unserem Wahlziel entsprochen hat, das in einigen Bezirken sogar sehr schmerzliche Auswirkungen hat, und das wir für unsere Arbeit in der kommenden Zeit auch entsprechend gründlich aufzubereiten haben.

Wir haben hier im Bezirk im Vergleich zu 2021 leider noch einmal 2,8 % bei den AGH-Zweitstimmen verloren und auch bei den Erststimmen ein Minus; auch ich selber habe das Ziel, meinen Wahlkreis 3 diesmal gegen die Grünen zu holen, leider nicht erreichen können. In der BVV haben wir weniger stark verloren, aber hätten uns natürlich dennoch ein stärkeres Ergebnis gewünscht.

Aber zugleich war unser Ergebnis insgesamt unter verdammt schwierigen Umständen – von der Situation der Bundespartei über die wie erwartet niedrigere Wahlbeteiligung bis zur medialen Zuspitzung auf die Frage, wer ins Rote Rathaus einzieht, doch ein starkes Zeichen. Eine Bestätigung, dass wir als Berliner Linke weiter gebraucht werden, dass wir auch junge Leute ansprechen, dass viele Berlinerinnen und Berliner nach wie vor ihr Vertrauen ins uns als soziale Kraft setzen!

Und wir haben dann auch entsprechend ernsthaft und gewissenhaft sondiert und unser Angebot formuliert – an SPD und Grüne, für die Stadt. Wir haben in den Sondierungen keine unlösbaren Schwierigkeiten gehabt, wir haben sogar eine Verständigung zur Vergesellschaftung erzielt, haben Wege zum sozialen Zusammenhalt und für forcierten sozialen Wohnungsbau, für sozialökologische Transformation, für weitere kluge Krisenbewältigung, und für eine insgesamt besser funktionierende Stadt ausloten können.

Ich – und viele andere auch – haben in den Sondierungen durchaus den Eindruck gewonnen, dass Rot-Grün-Rot bereit und fähig gewesen wäre, die offenen Aufgaben bis 2026 anzupacken – gemeinsam.

Zweitens:

Unsere Themen im Wahlkampf waren die richtigen, unsere Konzentration auf das Wesentliche.

Jeder einzelne unserer Schwerpunkte hatte das Ziel, den Zusammenhalt in der Stadt zu stärken, diejenigen zu beschützen und zu befähigen, denen es nicht so gut geht.

Wir waren die, die Mieter*innen-Interessen im Blick hatten – und haben. Wir haben als einzige Partei ernsthaft hart dafür gekämpft, dass DWE nicht im Sande verläuft.

Wir haben ein soziales Neubauprogramm formuliert, das auch ohne den zusammenbrechenden Markt der privaten Bautätigkeit funktionieren würde.

All unsere Forderungen zielen auf eine gute und solidarische Zukunft für Alle, auf eine Stadt, die niemanden allein lässt.

Drittens:

Die Arbeit, die wir alle in den letzten Jahren gemeinsam geleistet haben – jede und jeder Einzelne von Euch an der Basis, in den BVVen, in den Bezirksämtern, im Abgeordnetenhaus und auch im Senat – war weit mehr als ordentlich und darauf können wir stolz sein.

Und besonders an Sören und Dominique gerichtet möchte ich hier sagen: Ihr habt einen genialen Job gemacht, wir sind stolz auf euch und euch gebührt unser großer, großer Dank!

Ebenso großer Dank an die Bezirksgeschäftsstelle und alle ehrenamtlichen Genoss*innen.

Dazu gehört dann auch, dass beispielsweise Katja Kipping sich mit ihrer Arbeit und ihrem Team weit über die Grenzen unserer Partei enorme Anerkennung und Respekt erworben hat. Das geben auch Leute unumwunden zu, die sonst wahrlich nicht im Verdacht stehen, unserer Partei besonders nahe zu stehen.

Katjas Einsatz für Menschen in Not – ganz egal, ob aus der Ukraine vor Putins mörderischem Krieg geflohen, aus anderen Kriegs- und Krisenregionen zu uns gekommen oder hier in Berlin in prekären Lebenssituationen lebend – war Solidarität pur und beste LINKE-Politik.

Da ist Lena Kreck, die mit ihrem Team mit hoher Kenntnis und viel Herzenswärme für Gerechtigkeit und Humanität, für Vielfalt und Antidiskriminierung in Berlin, gestritten hat und in den vergangenen 14 Monaten mehr Weichen gestellt hat, als manch ihrer Vorgänger.

Ich kann auf sechs Jahre, sechs sehr gute und schöne Jahre, als Kultur- und Europasenator zurückblicken – und das in der vielleicht kulturell spannendsten und vielseitigsten Stadt Europas.

Ich glaube, dass es gelungen ist, dieses Amt mit dem ganz klar sichtbaren Anspruch auszuüben, dass Kultur eben nicht etwas für die Gutbetuchten sein darf, sondern allen Menschen in der Stadt offenstehen muss, unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Geldbeutel. Und dass die Menschen, die in Kunst und Kultur arbeiten, gute Arbeitsbedingungen und faire Löhne verdienen. Wir haben mit der Kulturverwaltung Freiräume gesichert und Rekommunalisierungen durchgesetzt.

In der Pandemie haben wir in kurzer Zeit Hilfen entwickelt, um trotz quälend langer Schließzeiten allen Kulturorten unserer Stadt das Überleben zu sichern – wir haben tatsächlich die breite und wertvolle Kulturlandschaft Berlins durch die Krisen gebracht!

Und auch ich kann Danke sagen an diejenigen, die das mit mir im Roten Rathaus und in der Kulturverwaltung gemeinsam gestemmt haben.

Liebe Genossinnen und Genossen,

im Prinzip – bei all dem auch öffentlich ausgetragenen Streit zwischen unseren beiden Koalitionspartnerinnen – waren wir im Senat der Garant für sozialen Zusammenhalt in dieser Stadt. Und gemeinsam mit unserer Fraktion und unserem Landesverband haben wir in dieser Koalition linke Vorhaben umsetzen können, die deutlich zeigen, welchen Unterschied es für die Menschen in der Stadt macht, wenn es eine starke Linke in der Regierung gibt.

Liebe Genossinnen und Genossen,

deshalb war und bleibt es richtig, dass wir gesagt haben: wir sind bereit für progressive Mehrheiten, bereit, in Verantwortung zu gehen. Nach dem Wahlabend stand fest: Es gibt eine klare parlamentarische Mitte-Links-Mehrheit und insofern absolut keine Notwendigkeit, unsere Stadt von der rückwärtsgewandten CDU regieren zu lassen.

Es war ganz klar: Wo ein Wille ist, da ist kein Wegner.

Wir als Berliner Linke hätten weiterhin im Senat der Garant sein können für eine verbindende, soziale und progressive Politik - sie wird bei den Herausforderungen der Zukunft dringend gebraucht, wollen wir die Spaltung der Gesellschaft verhindern.

Wer wirklich das Wohl der Stadt im Blick hat, der verhilft nicht einer Partei der sozialen Kälte wie der Berliner CDU zur Mehrheit!

Zwar besteht noch eine theoretische Möglichkeit, dass die SPD-Mitglieder ihre Vorsitzenden zurückpfeifen und sich von deren fatalem Kurs lösen. Aber auch wenn es bei dem bleibt, wonach es jetzt aussieht – auch dann, liebe Genossinnen und Genossen: Kopf in den Sand stecken ist nicht! Das würde uns nicht helfen und auch nicht den Menschen in dieser Stadt.

Auch wenn wir nicht länger in Regierungsverantwortung stehen sollten, haben wir doch Verantwortung. Die Verantwortung müssen wir selbstbewusst annehmen, und zwar ab sofort.

Unser Signal an die Stadt kann nur sein: Egal, ob wie bisher in der Regierung oder künftig dann als starke soziale Opposition: Wir sind für euch da, wir sind eure Partner und erreichbar,

  • im Abgeordnetenhaus
  • in den Bezirksverordnetenversammlungen und Bezirksämtern
  • in zivilgesellschaftlichen Zusammenhängen und natürlich
  • in Vereinen, Verbänden, Initiativen

Beweisen wir unseren Gebrauchswert.

Denn gebraucht werden wir.

Wir werden die starke soziale Opposition sein, die einer CDU im Rathaus Feuer unterm Hintern macht, die Widerstand leistet! Von den Grünen wird das nicht kommen, die hätten sich der CDU ja selber als Juniorpartner angedient.

Ich bin fest davon überzeugt, dass eine schwarz-rote Koalition sich immer wieder für den Weg des geringsten Widerstands, für das Aussitzen und den Stillstand entscheiden und die realen Probleme in unserer Stadt nicht lösen, sondern nur vertiefen wird.

Und wir: wir werden dagegen harte und konkrete Oppositionsarbeit in der Sache machen, das sind wir uns und denjenigen schuldig, die auf uns setzen: unseren Wählerinnen und Wählern und Sympathisant*innen ohne Stimmrecht, unseren Bündnispartnerinnen und -partnern in den sozialen Bewegungen und der Zivilgesellschaft.

Wir werden uns der Aufgabe annehmen, uns zu sammeln, uns mit der Stadtgesellschaft zu beraten, besser als bisher noch eine verbindende politische Praxis zu entwickeln, die unsere neu gewonnenen Potentiale hält, uns aber insbesondere auch in den Außenbezirken wieder stärker macht Und wir behalten das Wesentliche im Fokus: Ein offenes und lebenswertes buntes Berlin für alle.

Mit bezahlbaren Wohnungen, die ein Zuhause und kein Profit sind. Mit guter Arbeit bei ordentlichen Löhnen. Nicht nur, aber insbesondere für alle, die diese Stadt am Laufen halten. Wir stehen an der Seite der Beschäftigten in den Krankenhäusern, den Kitas und Schulen, bei der Feuerwehr, der BVG, der BSR, in den Kultureinrichtungen und im Justizvollzug.

Liebe Genossinnen und Genossen,

lasst uns der ganzen Stadt und darüber hinaus zeigen, dass wir Berliner Linke als eigenständige sozialistische Kraft gebraucht werden,

die die Gleichheit aller Menschen stärkt und soziale Ungleichheiten bekämpft,

die um die Bedeutung des Öffentlichen weiß und sich für starke, resiliente öffentliche Infrastrukturen für uns alle einsetzt,

und die den sozialökologischen Umbau so angeht, dass alle daran teilhaben können und so manche krude Debatte endlich vom Kopf auf die Füße gestellt wird.

Wir können die linke Kraft sein, die beweist, dass die großen Herausforderungen der Zukunft auf eine sozial inklusive, gerechte Art und Weise gelöst werden können. Nur so haben die kommenden Generationen eine Zukunft.

Und lasst uns dann spätestens in drei Jahren, 2026, mit voller Kraft diese CDU wieder aus dem Roten Rathaus werfen, und auch hier in Pankow wieder gestärkt aus den Wahlen hervorgehen!

Es gilt das gesprochene Wort.